Psychoanalytisches Institut Heidelberg

Geschichte des Instituts

Psychoanalyse in Heidelberg vor 1945

Ausgehend von den Arbeiten von Sigmund Freud begann die Psychoanalyse sich um 1900 als Theorie vom Unbewussten, als Therapie als Kulturtheorie und wissenschaftliche Methode zu entfalten. Mit Freuds Buch „Traumdeutung“ erreichte die Psychoanalyse eine erste Blütezeit und Höhepunkt an öffentlicher Wahrnehmung und ist seitdem aus dem Geistesleben nicht mehr wegzudenken.

In Heidelberg setzten sich Ludolf von Krehl und dann vor allem Viktor von Weizsäcker für die Psychoanalyse ein und öffneten ihr die Universität, indem sie ihr einen Zugang zur medizinischen Lehre und Forschung ermöglichten.

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Ludolf von Krehl (1861—1937)

Krehl war seit 1907 Ordinarius der Medizinischen Klinik. Obwohl im naturwissenschaftlichen Denken fest verankert, das für ihn in Diagnostik und Therapie immer vorrangig blieb, hatte er schon 1902 die Arbeit Freuds und Breuers gewürdigt. In Symptomen erkannte er beispielsweise Ausdrucksgemeinschaften des Körperlichen und Seelischen und die Wirkungen des Unbewussten.

In der später nach ihm benannten Medizinischen Klinik zeigen sich Ansätze eines ganzheitlichen Denkens in seinem Bemühen, naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Sichtweisen in der ärztlichen Praxis zu vereinigen und – indem er dem Arzt-Patient-Verhältnis und dessen Gestaltung für die Behandlung und deren Verlauf eine besondere Bedeutung zumaß – den Kranken als Person, als Individuum in den Vordergrund treten zu lassen.

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Viktor von Weizsäcker (1886—1957)

Weizsäcker hatte sich als Internist schon früh für die Psychoanalyse interessiert. Seit 1920 leitete er die neurologische Abteilung an der Krehlschen Klinik und wurde zu einem Begründer der psychosomatischen Medizin und der Medizinischen Anthropologie. Er stand mit Freud bis zu dessen Tod in brieflichem und persönlichen Kontakt und seine Studie „Körpergeschehen und Neurose“ wurde 1933 in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse veröffentlicht.

„Freud bezweifelte, dass die Psychoanalyse als eigenständige Wissenschaft und Behandlungsmethode würde Gewinn ziehen können“

In seinem wissenschaftlichen Hauptwerk verfolgte er das Projekt einer integralen Psychosomatischen Medizin in einer Verbindung von naturwissenschaftlicher und hermeneutischer Methode, für das er auch Freud zu interessieren versuchte. Freud blieb angesichts der dabei zu lösenden theoretischen und praktischen Fragen jedoch reserviert und bezweifelte, dass die Psychoanalyse als eigenständige Wissenschaft vom Unbewussten und eigenständige Behandlungsmethode, als die er sie sah, aus einem Zusammengehen mit unterschiedlichsten, über das Individuum hinausgehende und beispielsweise sein Umfeld mitbehandelnde Behandlungsformen zu einer klinischen Psychotherapie würde Gewinn ziehen können.

Thorapeutikum

Eine heute nahezu vergessene Episode der Heidelberger Psychoanalyse blieb das Experiment einer Kombination aus jüdischer Glaubens- und Erziehungseinrichtung und Sanatorium für die Behandlung junger, an Psychosen erkrankter Erwachsener, das sogenannte „Thorapeutikum“, das die Analytikerin Frieda Fromm-Reichmann (1889—1957) in den 20er Jahren initiiert und geleitet hatte.

Dort verkehrte auch der damalige Soziologiestudent Erich Fromm (1900—1980), den sie 1926 heiratete. Fromm-Reichmann und Fromm orientierten sich jedoch schon bald nach Frankfurt an das dort entstehende Institut für Psychoanalyse und das Institut für Sozialforschung und gaben diesen Vorläufer einer therapeutischen Gemeinschaft, für den die Zeit noch nicht reif war, wieder auf.

Fromm-Reichmann emigrierte 1933 über das Elsaß nach den USA, wo sie sich einen Namen in der stationären psychoanalytischen Behandlung von Psychosen machte.

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1933—1945

Der Blütezeit der Psychoanalyse in Deutschland in den 20er Jahren besonders in Berlin, aber auch im Südwestdeutschen Raum, setzte der Nationalsozialismus ein schnelles Ende. Die jüdischen Psychoanalytiker emigrierten ins Ausland oder kamen im KZ um, die Schriften Freuds wurden verbrannt, die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG) löste sich 1938 auf.

„Psychoanalytiker glaubten, die Psychoanalyse durch aktive Anpassung und Integration in das NS-System als ,arisierte‘ Psychoanalyse bewahren zu können“

Das ehemalige Berliner Psychoanalytische Institut war bereits 1936 vom Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie übernommen worden, das von Matthias H. Göring, einem nahen Verwandten Herrmann Görings, geleitet wurde. Die dort verbliebenen Psychoanalytiker glaubten, die Psychoanalyse durch aktive Anpassung und Integration in das NS-System gewissermaßen als „arisierte“ Psychoanalyse bewahren zu können und verstrickten sich mit dem Regime. Vergleichen Sie hierzu auch Die Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland auf der Website des DPV. Nach dem Krieg wurde die DPG rasch wieder begründet, es kamen aber sehr divergierende Ansichten über die Ausbildung, die Stellung zu Freuds Schriften und die Weiterentwicklung der internationalen Psychoanalyse zum Vorschein.

Eine kleine Gruppe von neun PsychoanalytikerInnen zog aus der DPG aus und gründete 1950 in Berlin die Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV), die 1951 in die Internationale Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen wurde.

Nachkriegszeit

In Heidelberg ist der Wiederbeginn der Psychoanalyse nach dem Krieg v. a. mit dem vielfältigen Wirken von Alexander Mitscherlich (1908—1982) verbunden, einem der Väter der intellektuellen Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Mitscherlich war während der Nazizeit wegen seiner politischen Haltung einige Monate in Gestapohaft gewesen. Im Umfeld der Weizsäckerschen Klinik lernte Mitscherlich auch die Schriften Freuds kennen und setzte sich mit dem Unbewussten auseinander.

In der Nachkriegszeit stand der junge Heidelberger Mediziner zunächst durch sein Eintreten während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse gegen Ärzte und durch seine Verwurzelung in der Heidelberger Schule (V.v. Weizsäcker, R. Siebert, L. Krehl u.a.m.) exemplarisch für Neuanfang und Veränderung. Rastlos tätig und durch politische und finanzielle Unterstützung (z.B. Rockefeller-Stiftung) ist die Gründung der ersten Psychosomatischen Klinik mit psychoanalytischer Ausrichtung an einer Universität vor allem sein Verdienst.

Seine große Leistung für den Wiederbeginn der Psychoanalyse in Deutschland war es, dass er als vom NS-System unbelasteter Deutscher eine eigene, kritische Sprache auch zur Vergangenheit fand und zahlreiche ausländische Analytiker einschließlich einiger Emigranten für Vorträge und Seminare gewinnen – dies waren u.a. E. Erikson, R. Spitz, M. Balint, L. Binswanger, F. Alexander, P. Heimann und J. Lampl-de Groot – und auf diese Weise den Anschluss an die internationale Entwicklung des psychoanalytischen Denkens herstellen konnte, das sein Zentrum inzwischen nach London und in die USA verlagert hatte.

„Heidelberg wurde ein Kristallisationskern für eine neue Generation von deutschen Psychoanalytiken“

Heidelberg wurde so ein Kristallisationskern für eine neue Generation von deutschen PsychoanalytikerInnen, die von den Vorgängen am Berliner Institut der Nazizeit unbelastet waren wie Gerd Biermann, Clemens De Boor, Wolfgang Loch, Margarete Mitscherlich-Nielsen, Helmut Thomä u.a.m. Mitscherlich, der aus der psychosomatischen Schule seines Förderers Victor von Weizsäcker kam und sich bis dahin theoretisch und klinisch mit der Psychoanalyse beschäftigt hatte, ging in diesen Jahren den Weg zum Psychoanalytiker noch selbst.

Dazu war ein Ausbildungsaufenthalt am Britischen Psychoanalytischen Institut in London 1956/57 ein wichtiger Schritt, nachdem er 1956 Mitglied der DPV geworden war. Mit der Einrichtung eines Ausbildungsinstituts für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie an der Psychosomatischen Klinik ab 1949 war noch keine psychoanalytische Ausbildungseinrichtung der DPV geschaffen worden.

In Heidelberg brachte die restaurative Wiederaufbauzeit dem dynamischen Mitscherlich zunehmend Schwierigkeiten, in Frankfurt fand er bessere Rahmenbedingungen vor, die 1960 zur Gründung des (staatlichen) Sigmund-Freud-Instituts führten, dessen Leitung er übernahm. Er behielt zunächst die Leitung der Psychosomatischen Klinik, bis er 1967 einen Ruf als Professor für Sozialpsychologie an die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität erhielt.

Die Zeit nach Alexander Mitscherlich

Sein Nachfolger als Leiter der Psychosomatischen Klinik Heidelberg wurde Walter Bräutigam, der als DPG-Analytiker sich für den Aufbau eines Instituts mit einer integrativ ausgerichteten Konzeption von Psychoanalyse und Tiefenpsychologie einsetzte, das 1969 als „Ausbildungsseminar für Psychotherapie und Psychoanalyse in der DGPT“ gegründet wurde. Mit dem Weggang Mitscherlichs nach Frankfurt hatten die meisten DPV-Analytiker Heidelberg verlassen. Die weiter in Heidelberg ansässigen Analytiker der DPV arbeiteten am Sigmund-Freud-Institut mit, einige beteiligten sich auch am Heidelberger DGPT- Institut und dessen integrativen Konzept.

Zusammen mit Analytikern der DPV, die sich ab 1970 in der Heidelberger Region niederließen, entstand ein zunächst noch informeller Kreis aus Psychoanalytikern, die sich in der DPV als wissenschaftlicher Fachgesellschaft beheimatet fühlten. In diesem Kreis teilte man das kasuistische Interesse an der Freudschen Analyse mit hochfrequenten Fällen, die Art der Fallbehandlung mit deren theoretischer Fundamentierung und die Verwurzelung in der internationalen Psychoanalyse. Man traf sich einmal im Monat am Ersten Donnerstag.

Gründung des Psychoanalytischen Instituts Heidelberg-Karlsruhe

In diesem Kreis entwickelte sich die Idee zur Gründung eines eigenständigen DPV-Instituts. Nachdem die personellen und organisatorischen Voraussetzungen dafür geschaffen worden waren, wurde es 1980 zunächst als Psychoanalytische Arbeitsgemeinschaft Heidelberg-Karlsruhe der DPV gegründet, bevor es 1991 als Psychoanalytisches Institut Heidelberg-Karlsruhe der DPV seinen endgültigen Status erhielt.

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Dies verlief mit Blick auf das schon bestehende Institut für Psychotherapie und Psychoanalyse Heidelberg-Mannheim der DGPT, mit dem man vielfältig verbunden war, nicht ohne Reibungen und Konflikte, weil damit die verschiedenen Konzepte, Traditionen und psychoanalytischen Identitäten trotz guter Zusammenarbeit und enger persönlicher Kontakte offensichtlich wurden. Beide Institute haben sich bei allen Differenzen bestehende Gemeinsamkeiten bewahrt und nutzen sie zu vielfältiger und fruchtbarer Zusammenarbeit. Angestoßen durch die Annäherung der DPG (Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft) an die IPV ergab sich, dass auch Heidelberger Mitglieder des DGPT-Instituts IPV-Mitglieder werden konnten und nun eine eigenständige Arbeitsgruppe der DPG entstanden ist.

Für das anfänglich noch kleine DPV-Institut stellte es in den folgenden Jahren eine erhebliche Belastung dar, eine psychoanalytische Ausbildung nach den Richtlinien und Standards der IPV/DPV durchzuführen. Ausbildung war der Schwerpunkt. Schon 1981 gab es 25 Ausbildungskandidaten. Bis 1990 war die Zahl der Mitglieder von 8 auf 31 gestiegen.

„Der wissenschaftliche Erste Donnerstag im Monat ist bis heute ein wichtiges und lebendiges Band zwischen den Mitgliedern“

Daneben blieb der wissenschaftliche Erste Donnerstag im Monat bis heute ein wichtiges und lebendiges Band zwischen den Mitgliedern, an dem man sich zum Vortrag und Meinungsaustausch trifft. Ein weiterer wichtiger Bereich war die Supervision mit ausländischen bzw. auswärtigen Kollegen, beispielhaft sei die Runde um Herbert Rosenfeld in den 80er Jahren erwähnt.

In den 90er Jahren veränderte sich das der Psychoanalyse bis dahin freundliche gesellschaftspolitische Klima. In den politischen Entscheidungen, die aus den Plänen der Gesundheitsstrukturreform resultierten, stand die Kostenersparnis im Vordergrund, in der allgemeinen Diskussion verlor die Psychoanalyse ihren Nimbus, den sie mit Vertretern wie Alexander Mitscherlich und Horst Eberhard Richter bis in die 80er Jahre hinein hatte.

Bedingungen, Arbeit und Aufgaben des Psychoanalytischen Instituts

Für das Institut machte sich dies in einer erheblich veränderten berufs- und standespolitischen Situation bemerkbar, der auch in der Ausbildung durch Umstrukturierung Tribut gezollt werden musste, ohne dabei essentielle Standards der psychoanalytischen Ausbildung nach den Richtlinien der DPV preiszugeben. In der zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den gesetzlichen Krankenkassen im Jahre 1990 geschlossenen Psychotherapievereinbarung waren die Kriterien zur Anerkennung als Ausbildungsinstitut für tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapie neu gefasst worden. Der für ein Institut geforderte Zuschnitt sah eine Ambulanz, ein Sekretariat und ein Ausbildungscurriculum in eigenen dafür geeigneten Räumlichkeiten vor. Dies konnte unter Einsatz vieler Mitglieder erreicht werden.

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Die Räumlichkeiten wurden in der Vangerowstrasse 23, der heutigen Adresse des Instituts, gefunden und für ihren Zweck hergerichtet. Das Psychotherapeutengesetz von 1999 hat dann erneut Modifikationen in der Ausbildung erforderlich gemacht, die den Lehrenden, aber vor allem den Lernenden auf dem Weg zum DPV-Analytiker neue Belastungen aufbürden. Durch das Gesetz entstand mit dem Psychologischen Psychotherapeuten ein neuer Heilberuf, was bis heute vielfältige Auswirkung im Sinne einer Professionalisierung und Verrechtlichung hat. Diese sind nicht immer leicht mit dem Geist der Psychoanalyse in Einklang zu bringen. Entgegen einer Hoffnung, dadurch der Medizinalisierung der Psychoanalyse zu entkommen, vergrößert sich gerade dieser Aspekt.

Heute ist das Institut auf 60 Mitglieder, davon 14 Lehranalytiker, angewachsen, dazu kommen 10 Kollegen, die sich am Institut in Ausbildung befinden (Stand: Herbst 2014). Aber nicht nur die Anzahl ist gewachsen, Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit drücken sich in vielfältigen Aktivitäten und Initiativen des PIH aus. So können sich die Mitglieder über eine Instituts-interne Internetzeitung über wissenschaftliche Arbeiten und Schwerpunkte der KollegInnen informieren. Eine jährlich erstellte Bibliographie ermöglicht einen Überblick über die zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträge.

Zukunftsaussicht

Zahlreiche Mitglieder engagieren sich in verschiedenen berufspolitischen Bereichen (Ärztekammer, KV, Psychotherapeutenkammer u.a.m.). Auch dieser Schritt heraus aus dem „analytischen Elfenbeinturm“ hat sich als notwendig und anregend zugleich erwiesen und wird auch selbst unter psychoanalytischen Aspekten durchgearbeitet.

Die wissenschaftliche Betätigung reicht von der Beschäftigung mit Fragen der analytische Behandlung und Theorie bis zu Themen der Kultur, der Kunst, der Pädagogik, der Politik und vieles mehr. Es haben sich Arbeitsgruppen gebildet, die die unterschiedlichen klinischen und theoretischen Interessen der Mitglieder zum Ausdruck bringen wie „Psychoanalyse und Psychosen“, Technische Probleme mit Übertragung und Gegenübertragung“, „Psychoanalyse und Religion“, „Warum Krieg?“ u.a.m.

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Es ist nicht schwer zu sehen, dass auf die Psychoanalyse weiter große Anforderungen und Auseinandersetzungen zukommen werden. Die gesellschaftliche Entwicklung, die gekennzeichnet ist durch Globalisierung, Beschleunigung und Medialisierung einerseits, durch eine Krise des Subjekts und Veränderungen auch der (besonders) frühen Sozialisationsbedingungen andererseits, welche sich wechselseitig beeinflussen, macht auch vor der Psychoanalyse nicht halt. In der Theorie hat sie sich hin zu einer Pluralität der Ansätze entwickelt, und es gibt einen wichtigen Diskurs über die psychoanalytische Methode und Wissenschaft innerhalb der universitär-wissenschaftlichen Gemeinschaft.

Wir sind dennoch zuversichtlich, dass Geist und Methode der Psychoanalyse, die in der Lage sind, vielfältige Probleme zu hinterfragen und eine Wahrheit hinter den Erscheinungen aufzufinden oder ihr zumindest näher zu kommen, lebendig bleiben und sich Gehör verschaffen können.

Heidelberg im November 2014
Christian Bischoff und Michael Gingelmaier